„Das ist der Krieg der Frauen, genauso sehr wie die der Männer, und der Dichter wird sich ihren Schmerz anschauen – den Schmerz der Frauen, die immer an den Rand der Geschichte gedrängt werden, als Opfer der Männer, Sklavinnen der Männer. Er wird davon berichten, oder er erzählt überhaupt nichts. Die Frauen haben lang genug darauf gewartet, dass sie an die Reihe kommen.“
Informationen
Autorin: Natalie Haynes
Seitenanzahl:411
Veröffentlichung: 15.06.2023
Preis: 23.90 Franken (Taschenbuch)
ISBN: 978-3-423-21865-8
Sobald man der
griechischen Mythologie über dem Weg läuft, braucht es nicht lange, um auf den
Trojanischen Krieg zu stoßen. Viele Helden sind aus diesem Krieg
hervorgegangen. Achilles, Odysseus, Hektor, Paris… Aber was geschah eigentlich
mit den Frauen, Töchtern und Schwestern? In dieser Geschichte geht es nicht um
den Triumpf und reichen Erfolg der Männer, sondern um das Leid und die Hoffnung
der Frauen. In den Geschichten von Hekabe, Kassandra, Polyxena, Iphigenie,
Penelope, Oinone und vielen weiteren Frauen werden die Schattenseiten von
diesem Erfolg gezeigt und die Frauen bekommen ihre Stimme, welche in den
Geschichten oftmals untergeht.
In dieser
Buchbewertung möchte ich nicht nur meine Meinung zu diesem Buch äussern,
sondern den Frauen auch hier eine leise Stimme geben. Einige Frauengeschichten,
die mich sehr begeistert haben, werde ich hier kurz niederschreiben und
beleuchten was mich daran fasziniert hat.
Vorab: Das Buch
hat mich von Anfang an gefesselt. Die Autorin geht nicht chronologisch vor und
man steigt direkt mit dem Untergang der Stadt ein. Und auch wenn man sich immer
wieder ein wenig einfinden muss, wo man sich befindet, macht es auch gerade, dass
das Geniale der Geschichte aus! Immer wieder springt man von der einen
Geschichte zur anderen und dennoch fügt sich bis zum Schluss ein wunderbares
Bild zusammen.
Auch der
Schreibstil hat sehr gut zum Buch gepasst. Ich brauchte zwar am Anfang ein
wenig Zeit, um die vielen Umschreibungen einordnen zu können, aber danach hat
es mich einfach nur noch gepackt. Ich werde sicherlich noch mehr Bücher von der
Autorin lesen!
Die erste
Geschichte, die ich gerne näherbringen möchte, handelt von Iphigenie,
die viele auch aus dem verarbeiteten Werk von Johann Wolfgang von Goethe
kennen. In „Iphigenie auf Tauris“ lernen wir Iphigenie als eine sehr
verantwortungsbewusste, ehrliche, reine und selbstlose Persönlichkeit kennen.
In dem Buch von Natalie Haynes wird sie als ein junges Mädchen vorgestellt, was
sich ein glückliches Leben an ihrem versprochenen Ehemann Achilles wünscht. Mit
dem Vorhaben ihren zukünftigen Ehemann zu ehelichen, reist sie mit ihrer Mutter
Klytämnestra zu dem Lager, wo ihr Vater Agamemnon mit seinen Soldaten nach
Troja aufbrechen möchte. Jedoch als sie am Lager auftaucht, erwartet sie eine
erdrückende Stimmung und niemand von den Soldaten traut sich, ihr in die Augen
zu blicken. Als sie am nächsten Morgen ihren König auf einem Altar stehen seht,
graust es ihr, was sich ihr erwarten wird. Der König zückt ein Messer und
Iphigenie bekommt nur noch mit wie ihre Mutter schreit und sich gegen die
Soldaten auflehnt. Iphigenie wurde von ihrem eigenen Vater geopfert. Für
bessere Winde nach Troja. Auch wenn nach Überlieferungen und auch nach Goethes
Werk Iphigenie weiterlebt (weil sie von Artemis gerettet wird und auf Tauris
gebracht wird), finde ich die Arroganz der Feldherrn in dieser Geschichte sehr
präsent. Der Vater opfert seine eigene Tochter, damit er in den Krieg ziehen
kann. Dieser Absurdität muss man sich erst einmal bewusst werden. Ich finde
dieser Teil der Geschichte wird zu oft vergessen, dadurch das es im Goethes
Werk kaum beachtet wird. Dadurch geht mir das Schicksal von Iphigenie noch
näher!
Oinone, Bergnymphe und Tochter des Flussgottes
Kerbes, wird die erste Frau von Paris. Dieser wurde von seinen Eltern, Hekabe
und Priamos ausgesetzt, weil seiner Mutter in einem Traum prophezeit wurde,
dass ihr Sohn der Untergang Trojas sein wird. Paris wächst bei einem Hirten auf
und lernt dort dann die Bergnymphe Oinone kennen. Sie heiraten und bekommen
einen gemeinsamen Sohn. Als dann Paris von Zeus gedrängt wird den goldenen
Apfel Athene, Aphrodite oder Hera zu geben, die sich darum stritten, versprach
Aphrodite ihm die schöne Helena. Oinone verlässt er und lässt sie und ihren
Sohn auf dem Hügel zurück, ohne einen Abschied. Erst zehn Jahre später, als das
kleine Kind schon zu einem Jugendlichen herangewachsen ist, kommt Paris
verwundet zurück nach Hause, und fleht Oinone an ihn gesund zu pflegen. Doch
diese ist so verletzt von seinem Verhalten, dass sie ihm keine Hilfe anbietet.
In weiteren Überlieferungen bereut sie diese Entscheidung und schmeißt sich
dann mit ihm in die Flammen. Ich finde es aber besonders gut, dass dieses Schicksal
nicht eingetreten ist im Buch, weil ich finde, Oinone muss sich nicht
entschuldigen für ihre Entscheidung und dafür Büße tun, wie sie es in den
anderen Überlieferungen tut. Paris hatte dieses Verhalten verdient und Oinone
muss nicht als sittlich dargestellt werden und sich auch in die Flammen werfen!
Penelope, die Frau des Helden Odysseus, wird mit
ihrem Neugeborenen allein gelassen, als ihr Mann in die Schlacht zieht um
Troja. Jedoch kehrt er auch nach den 10 Jahren Krieg nicht wieder zurück.
Penelope schreibt ihm in diesem Buch, verzweifelte Briefe, die ihn dazu
animieren sollen, wieder zu ihr zurückzukommen. Doch Odysseus möchte weiterhin
auf seinen Reisen bleiben. Er trifft auf die Zauberin Circe, bleibt bei ihr und
bekommt mit ihr laut Mythos sogar zwei Kinder. Seine Frau dagegen sitzt
verzweifelt zu Hause und wartet auf ihren Mann, treuergeben, und er bleibt
extra fort und genießt das Leben. Dann landet er bei der Kalypso, die ihn zu
ihrem Geliebten macht. Widerwillig bleibt Odysseus und teilt auch hier wieder
sein Bett mit ihr. Erst nach sieben Jahren setzt sich Athene dafür ein, dass
Odysseus wieder zurück nach Hause kehren kann. Seine Frau, welche seit 20
Jahren auf ihren Mann gewartet hat, kommt die Rettung nah, denn schon mehrere
Freier haben es auf sie abgesehen. Hätte sie ihren Mann während dieser Zeit
betrogen, wäre es eine Schande gewesen. Bei ihm konnte man drüber hinwegsehen,
dass er mit weiteren Frauen Kinder gezeugt hatte.
Nicht nur wegen diesen
berührenden Geschichten, sondern auch vom Gesamtkonzept hat mich dieses Buch
mitgerissen und inspiriert. Ich würde es jedem ans Herz legen, der griechische
Mythologie mag oder sich damit mehr auseinandersetzen möchte. Eines Tages werde
ich es auch noch einmal lesen! Für mich war es ein absolutes Jahreshighlight!
Bewertung: 5+++ von
5
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